Die Flora des Parks
Die reiche und interessante Flora des Parks, die in der Vergangenheit und auch kürzlich erforscht worden ist, umfaßt insgesamt ungefähr l .970 Arten Phanerogame und Pteridophyten.
In dieser Zahl sind die Sporenpflanzen
und Kryptogame wie die Moose, Flechten, Algen und
Pilze nicht enthalten. Im
Park leben auch verschiedene Endemismen, das heißt Pflanzen, die ausschließlich in diesem Gebiet vorkommen.
Eine von ihnen
ist die Schwertlilie des Parkes
(Iris marsica), die nur an wenigen Orten wächst und in der Zeit von Mai bis Juni blüht. Im Park gedeihen auch
zahlreiche vielfarbige Orchideen, unter denen als schönste zweifellos der große und seltene Frauenschuh (Cypripedium
calcoelus) hervorsticht, der im Mai und im Juni an den verborgensten Stellen blüht.
Eine weitere Seltenheit ist die Schwarzkiefer (Pinus
nigra) in Villetta Barrea, eine relikte
Art, die
sogar aus dem Tertiär zu stammen scheint; es handelt sich um eine Varietät, die nur im Park vorkommt, und zwar nur in einigen Gegenden der Camosciara und des Fon-dillo-Tals.Die Bergkiefer, ein
Relikt aus der Steinzeit, wächst in der Camosciara, im Vegetationsgürtel zwischen dem Buchenwald und dem höhergelegenen Grasland, in der Ortschaft Coppo
Oscuro di Barrea hat die Birke (Betula
pendu/a) einen Lebensraum gefunden, sie stammt aus dem Quartär und ist ein Zeuge aus der Eiszeit für die Vegetation, die einmal im Apennin vorherrschte. Das Landschaftsbild im Park ist jedoch in seiner Vegetation vor allem von
Buchenwäldern geprägt:
Fagus
sylvaticus, ein Name, der einen klaren Bezug auf
das lateinische Wort silva (Wald)
aufweist und daran erinnert, daß diese Art ihren Ursprung in Italien in den Bergen des
Apennins hatte, wo die Buchen seit Jahrtausenden vorkommen.
Sie ist tatsächlich der meistvertretene Baum
des Parks und wächst üblicherweise in einer Höhe zwischen 900 und l
.800 Metern. Die Buchenwälder nehmen über 60% der gesamten Fläche ein und tragen dazu bei,
eine an Farben
reiche Landschaft zu schaffen, die sich mit dem Wechsel der Jahreszeiten verändert. Im Frühling ist interessant zu beobachten, wie die Blätter der Bäume je nach Höhenlage und Standort zu
verschiedener Zeit zu wachsen beginnen.
An wärmeren und tierfergelegenen Hängen grünen die Buchen tatsächlich früher als an den höhergelegenen.
Ihre Äste und Zweige sind schon mit
Blättern bedeckt, während andere noch nackt sind.
Form und Höhe der Buche ändern sich je nach Höhenlage, nach dem Alter des
Baumes und nach der Fruchtbarkeit des Bodens. Im Buchenwald ist der
Boden feucht: die Laubschicht am Boden
wirkt als Schutz und verhindert das Austrocknen während der Sommerzeit, im Winter
hingegen schützt sie gegen Eis und bei Tauwetter. Mit
der Zeit vermodern die Blätter am Boden unter der
Mitwirkung von Insekten und Mikroorganismen und reichern die Erde mit Humus an. Von den Ästen der Buchen hängen dichte Büschel von Waldbart (Usnea ttorida), eine für diese Gegend des Apennin typische Flechte. Die Buche
bietet ein mannigfaltiges Aussehen: breit-gedrungene,
Jahrhunderte alte Patriarchen
mit Wipfeln in Form von Kandelabern; Bäume mit hohen Stämmen, geradegewachsen
wie Kerzen;
junge und alte Bäume stehen beieinander.Zusammen mit
der Buche wachsen andere Bäume in den Wäldern, so
der italienische Ahorn (Acer opalus),
der Bergahorn (Acer
pseudoplatanus) und der Lobelius-Ahorn (Acer lobelii), ein Endemismus des südlichen Apennins; außerdem
gibt es den Vogelbeerbaum (Sorbus aucuparia), den Silberbaum (Sorbus aria), die Roteibe (Taxus
baccata) und, in den
Randgebieten des Waldes, den gemeinen Goldregen (Laburnum anagyorides), dessen
Kennzeichen die hängenden gelben Blütentrauben sind und der im Mai blüht
In halber Höhe der Berge wächst Mischwald, der vor allem
aus Zerreichen (Quercus cerr/s),schwarzen
Hopfenbuchen (Osfrya carpinifolia), Haselsträuchern (Corylus avellana), dreilappigem
Ahorn (Acer monspessu-lanum), Feldahorn
und - zu den Obstbäumen gehörig -dem wilden Apfelbaum (Malus syvestris), Schlehen (Prunus spinosa) und
Weichselkirschen (Prunus mahaleb)
besteht. In den südlicheren, trockenen
und der Sonne ausgesetzten Teilen des Parks, die bis
an die Anbaugebiete reichen, stehen die Flaumeichen (Quercus
pubescens), oft gemischt mit anderen
Bäumen.
Die Zerr- und die
Flaumeichen gehören zu den Eichen, die am
mächtigsten wachsen: alte Exemplare der Zerreiche bieten vielen Tieren, vor allem Vögeln und Insekten, Nahrung und Zuflucht. In den
wasserreicheren Gegenden und längs der Flüsse und Bäche herrscht die Ufervegetation vor, gekennzeichnet durch die
Weißbuche (Carpinus
betulus), die gemeine Esche (Fraxinus exce/s/or). die Schwarzpappel (Populus
nigra), die Silberpappel (Populus alba), die
Silberweide (Salix alba),
die Weide (Sa/k caprea) und andere, weniger häufig vertretene Arten wie die Sommerlinde (Tilia
platyphyllos), den Nesselbaum (Ce/f/s australis)
und die Schwarzerle (Alnus glutinosa).
In den wärmeren und besonnteren Teilen des Pari« finden sich auch, mitunter in den Felsen verwurzelt, Gruppen von Steineichen, einer immergrünen Eiche. An
einigen Stellen des Melfa-Tals stößt man auf den
Erdbeerbaum (Arbutus unedo),
den Lorbeerbaum (Laurua nobilis)
und den Judasbaum (Cerc/s
siliquastrum). Außerdem wächst in den
kühleren Gegenden nach dem Latium hin in einzelnen Gruppen die Kastanie
(Casfanea sativa).
In den tieferen Lagen befinden sich
Felder und stillgelegte Flächen, auf denen
allmählich ein natürlicher Erstbewuchs entsteht. Die Wälder des Parks bestehen zu 10% aus Hochwald mit Bäumen jeden Alters, zu 25% aus Hochwald mit
gleichaltrigen Bäumen, zu 45% aus
unregelmäßigem Hochwald und zu 10%
aus Schlagwald, während die restlichen 10% ehemalige Weiden und von der Vegetation bedeckte Lichtungen sind.
An
einigen Orten, vor allem in den Gebieten der Hochtäler,
haben sich Flecken mit unberührtem Wald erhalten, der im
übrigen Apennin immer seltener wird. Diese kleinen
Gebiete werden nicht nur wegen ihres ökologischen, biologischen und naturalistischen
Wertes intensiv geschützt, sondern auch, weil sie
Beispiele von natürlichem Wald darstellen, die bei der Requalifizierung
von Wäldern zu beachten sind, soweit diese in
der Vergangenheit durch den Eingriff des Menschen geformt und verändert
worden sind
Ein
Charakteristikum dieser natürlichen Wälder sind die 'Patriarchen',
große jahrhundertealte Bäume, die manchmal eine Höhe von
30 Metern und einen Stammdurchmesser von über einem Meter
erreichen. Nicht nur die Buche, auch der Ahorn,
die Zerreiche und die Schwarzkiefer können mehrere hundert jähre alt werden. Ein Beispiel ist der riesige Bergahorn des
Monte Tranquillo. Wenn diese Bäume sprechen könnten, würden sie lange und ausfuhrliche
Geschichten erzählen, in denen die schweren Eingriffe des Menschen eine unrühmliche Rolle spielen, das
unsinnige Bäumefällen und Roden,
das schon seit undenklichen Zeiten geschieht. Am stärksten wurden die Wälder jedoch in der Zeit des sogenannten 'Wirtschaftswunders geschädigt, als der industrielle
Holzschlag überhandnahm. Unter dem Einsatz modernster Mittel
und avanzierter Technologie erlebten die Waldgebiete
eine gefährliche Zerstörung, die auch die ortsansässige Bevölkerung und die Waldkultur in Mitleidenschaft
zog. Im Park wurden von 1957 bis 1967 über 650.000 Hochstamm-Bäume gefällt. Seit 1969, seit der Reorganisation der
Verwaltung, ist jeder industrieller Holzschlag verboten, wodurch eine immense Spekulation zulasten des Waldes unterbunden
werden konnte. Nach ]ahren indiskriminierter Ausbeutung 'ruhen' die Wälder des Parks jetzt und werden umsichtig gepflegt, damit
sie möglichst ihre ursprüngliche Gestalt und ihr früheres Aussehen wieder annehmen können; dies kommt sowohl der Fauna zugute -die so ihr natürliches Umfeld wiederbekommt - als auch dem Menschen, der sich an ihrer großartigen Schönheit erfreuen kann. Oberhalb der Waldgrenze wachsen der niedrige, kriechende Zwergwacholder (Juniperus com-munis nana) und Relikte
aus der nördlichen Heide wie die Blaubeere (Vacdnium
myrtillus) und die Bärentraube (Arctostaphylos uva-ursi), die ein Indiz dafür sind, daß in früheren Zeiten eine Nadelbaum-Vegetation bestanden hatte.
Das höhergelegene
Grasland, das zusammen
mit den Wiesen und Lichtungen über 30% der Gesamtfläche des Parks ausmacht, ist typisch für die oberen Gebiete der Berge und findet sich auf den Kämmen und Gipfeln mit einer Höhe von 1.900 bis 2.000 Metern; hier besteht die
Vegetation wesentlich
aus Gräsern (Gramineen)
und Riedgräsern (Zyperazeen): während der schönsten Jahreszeit leuchtet der
gelbe Enzian.
Überhaupt gibt es in dem Park keinen noch so versteckten Ort oder Winkel, wo nicht im Frühling und Sommer die Blüten in den buntesten Farben
erstrahlten, oft
in tiefen und oft auch in verhaltenen Pastelltönen: Enziane und Frühlingsenziane, Primeln, Alpenveilchen, Veilchen,
Anemonen, Lilien,
Orchideen, Steinbrechgewächse, Ranunkeln, Waldmeister, Zahn-wurz, Nieswurz und Leberblümchen. Besonders auffällig sind die rote Lilie (Lilium bulbiferum croceum), typisch für die in der Sonne liegenden
trockenen Hänge, der Türkenbund (Lilium
martagon), der in den weniger dichten Buchenwäldern wächst, die Akelei (Acquliegia ottonis), die häufig auf den Weiden und den brachliegenden Feldern vorkommt, der intensiv azurblaue Apennin-Enzian (Centiana
dinarica) und die schon erwähnte Iris der Marsica.
Die ohne Zweifel berühmteste Blume im Park ist jedoch der Frauenschuh (Cypripedium ca/co/eus), eine gelbschwarze Orchidee, die im
Herzen des naturbelassenen Reservats blüht und aus weit zurückliegender Zeit stammt. Sie wächst auch in den Alpengegenden; diese Pflanze ist derzeit durch den Vandalismus der
Sonntagsausflügler, die sie bedenkenlos pflücken, von der Ausrottung bedroht; sie muß deshalb
entsprechend geschützt werden